Hallöchen,
es geht mir gut. Wie geht's euch so? Wie läuft es bei euch?
Es gibt so Tage, da rattert alles irgendwie an mir vorbei, wie in Film. Da nehme ich zwar wahr, was passiert, aber kann mir keine Meinung darüber bilden.
An anderen Tagen reflektiere ich ein bisschen mehr und versuche, zu verstehen, was passiert. Heute war wieder so ein Tag, denke ich...
Heute haben wir einen Chemietest geschrieben. Einen Test, kein Quiz. Ein Test zählt sehr viel mehr als ein Quiz.
Argh. Fiasko. Ein totaler Schlag ins Wasser. Disaster. Fehlschlag. Oi, oi, oi. Das war gar nix...
Irgendwas stimmt nicht mit mir. Mathe fällt mir leicht hier. Das Problem ist, dass ich die Aufgaben oft nicht verstehe. Aber sprachlich! Das sind so Feinheiten, die ich nicht wirklich differenzieren kann. Oder so. Entweder ist das hier alles wahnsinnig einfach (was ich glaube), oder bei mir ist endlich, endlich, endlich, endlich der Knoten geplatzt (was ich nicht glaube).
Und ein Englischquiz haben wir geschrieben. Wobei wir in dem Fach dauernd Quizzes schreiben. Das ist sehr schwer für mich. Das quiz läuft folgendermaßen ab:
Wir müssen im Unterricht und zu Hause im Lexikon nachgucken, was die Worte auf der Liste heißen, die uns die Lehrerin gegeben hat. Diese Wörter + Definitionen müssen wir lernen.
Im Quiz steht rechts die Definition und links muss man zuordnen, welches Wort passt. Das lernen fällt mir nicht so schwer, ich kann meine eigene (!) Definition zu jedem Wort sagen. Aber auf der linken Seite steht dann plötzlich irgendwas ganz anderes mit Wörtern, die ich nicht kenne (bei den Definitionen achte ich natürlich darauf, dass ich sie auch verstehe...).
Das ist etwas unfair. Ich sitze in nem anderen Boot als die anderen. Wer kann denn verlagen, dass ich das gut kann? Ein D wäre schon ein Erfolg!
Morgen ist ein Field-Trip des Französischkurses! Ich freue mich sehr darauf. Wir fahren nach Downtown Seattle (aber wirklich Downtown, so wie ich das verstanden habe), und gucken uns eine Ausstellung, Französischer Impressionismus, an. Haaha, ich freu mich sehr darauf!
Nur heute... die Lehrerin ist Französisch- und Religionslehrerin. Sie meinte, auf manchen Bildern wären... nunja... Frauen... dargestellt. Sie hoffe, das würde uns nicht stören. Wir sollten doch einfach weitergehen dann. Und wir sollten es ihr sagen, wenn irgendwelche Leute dumme Witzchen machen sollten.
Jaja, ist klar, à la "Hihihihihi, eine nackte Frau!".
Großartig! Großartig, wirklich, großartig!!! Das ist Kunst, meine Güte! Ihr müsst den menschlichen Körper schon akzeptieren!
Der Französischclub hat heute die Sprecher gewählt: Aktivitäts-Koordinator (der koordiniert, welche Aktivitäten wir machen! :D), Snack-Mitbringer (der bringt die Snacks mit...), Gruppensprecher (die Erklärung spare ich mir jetzt) und Präsident.
Für das "Mandat" des Präsidenten meldeten sich prompt 5 Leute.
Alle anderen Posititionen wollte niemand haben. Ich mein's ernst!
Im Klassenraum ging eine heftige Diskussion zwischen den 5 Kanditaten los. Richtig aggressiv. Wenn ich ein Kanditat gewesen wäre, ich hätte mich angefasst gefühlt.
Anschließend wurde jedoch demokratisch abgestimmt. Ich hab mich demokratisch enthalten. Ich bin ja nur ein halbes Jahr da. Außerdem sagten mir alle 5 Kanditaten nicht zu. Alle irgendwie unsympatisch. Und keiner von denen wird irgendwas machen. Die wollten nur Präsident sein, um... eben President zu sein.
Jeder will Präsident sein, und nichts anderes... ganz schön ehrgeizig, gleich von null auf 100. Warum Präsident? Der hat 'nen blöden Job! Die Aktivitäts-Leute machen viel nettere Sachen! Aber nein, die "Präsidentsbestrebungen" meiner Klassenkameraden sind stärker. Kann man das auf alle Amerikaner beziehen? Immer das Größte wollen, gleich, sofort und jetzt, ohne Kompromisse? Der Zweck heiligt die Mittel? Was hat das überhaupt für einen Zweck?
Das ist mir hier aufgefallen. Ein, in meinen Augen, sehr, sehr wichtiger Punkt. Die Selbsteinschätzung der Menschen hier ist gigantisch hoch. Wir Europäter, denke ich, tendieren ja eher dazu, bescheiden zu sein. Ihr Licht untern Scheffel zu stellen. Seine Heldentagen und Errungenschaften nicht an die große Glocke hängen.
Warum ist das so? Fühlen wir uns insgeheim dadurch dem anderen überlegen?
Der Ami denkt sich wahrscheinlich nichts dabei, wenn er sagt: "Mein Projekt ist garantiert eine 1".
Der Europäter sagt: "Ach. Mein Projekt ist schlecht. Ich hab es so hingeschmiert... das wird eine 2-". Er weiß jedoch genau, dass es gut ist. Er weiß genau, dass es mehr als eine 2- ist. Warum behauptet er es dann? Weil er sich überlegen fühlt. Er denkt, er wäre bescheiden. Er will nicht, dass andere ihn für eingebildet halten. Und letzten Endes triumphiert er insgeheim, mit einer strahlenden 1-.
Mir kommt der Größenwahn der Amis vielleicht deswegen als unhöftlich vor.
Wir sollten in Theology unser eingenes Projekt bewerten. Es gab Kriterien, zum Besipiel, wie kreativ man sich selbst einschätzt, oder wie gut man die einzelnen Fragen beantwortet hat. Mein Sitznachbar hat, ich hab einen kurzen Blick auf seine Liste erhascht, überall volle Punktzahl angegeben. Für sich selbst! Ich hab mir überall etwas abgezogen, ich kam letzten Endes bei der eigenen Bewertung nur auf 41. Er auf 50.
Dann hat er seinen Vortrag gehalten. Ich will ja nichts sagen, aber 100% war das wirklich nicht. Dafür war es viel zu kurz und viel zu unkreativ. Mich würde interessieren, was die Lehrerin dazu sagt.
Und jetzt ist wieder die europäische Denkweise: Ich würde hier nämlich nie schreiben, dass ich schon sagen würde, dass mein Projekt besser sein würde als sein.
Vor allem weil es irgendwie lächterlich klingt, weil ich nicht mal richtig Englisch kann.
Amerikanischer Größenwahn. Noch bin ich nicht angesteckt.
Noch was anderes, was mir auffällt, was zwar nicht sonderlich tiefschürfend ist, was abder dennoch markant ist: Es gibt überdurchschnittlich (Deutschland-Durchschnitt) viele Linkshänder hier! Irgendeine Idee, woran das liegen könnte?
Und dann noch etwas anderes. Ich muss euch berichten, was mein Civics-Lehrer heute gesagt hat. Civics ist toll. Ich mag Civics. Es ist zwar hart, sich durch die schwierigen Texte zu beißen, aber es geht. Ich lerne unheimlich viel über das Land und wie das alles funktioniert.
Jedenfalls ist der Lehrer ganz jung, frisch (?) verheiratet und hat 2 kleine Kinder.
Es ging so los: "Ok, guys, let's talk about war".
Ich wurde hellhörig.
Es ging um das "Checks and Balances"-System, was im Prinzip Gewaltenteilung ist - wie sich die einzelnen "Branches" eben gegenseitig kontrollieren.
"Die Judikative kontrolliert Exekutive und Legislative. Man muss den Regeln folgen. Wenn man den Regeln nicht folgt, kann man nicht spielen. Wenn ihr Monopoly spielen wollt, müsst ihr den Regeln folgen. Nicht so, wie meine beiden Kinder. Die bewegen nämlich nur die Figuren auf dem Spielbrett herum und werfen mit dem Geld um sich."
Originalzitat. Die Figuren planlos umherbewegen und das Geld um sich werfen! Sprichwörtlich!Ich fand das unglaublich. Einfach unglaublich. Das ist so ironisch - wie unglaublich wahr dieses Zitat doch ist!
So. Das war's fast. Heute ist Donnerstag, morgen ist Freitag und dann ist Wochenede. Morgen scheiben wir einen Mathetest. Ich weiß nicht, ob ich da da bin oder nicht, weil wir ja den Ausflug zu den Impressionisten machen. Wir gehen normal zur Schule, fahren um 9 los und sind um 1 wieder da. Von 7-9 und 1-2:30 müssen wir den normalen Unterricht machen. Deswegen muss ich auch heute Hausaufgaben machen...
Jedenfalls hab ich keine Angst vor dem Mathetest. Das einzige, was ich mir merken muss ist, wie eine polinominale Funktion aussieht...
Schule ist hart. Ein Full-Time-Job. Keine Zeit für Hobbys, Familie oder sich das Land angucken... ich kann doch nicht immer nur Hausaufgaben machen! Ich hoffe, das wird bald weniger. Wenigstens in Chemie. 10 Aufgaben am Tag mit a), b) und c) ist einfach zu viel!
Ich sitze jeden Tag 7.5 Stunden (!!!!!!!) dran. Das kann es doch eigentlich nicht sein...
Also dann, bis bald.
Hoffentlich machen wir am Wochenede irgendwas schönes. Ich hab tierisch lust, shoppen zu gehen. *g* Aber bisher war einfach keine Zeit...