Mein Lieblingsthema, wieder einmal. Aber ich möchte einfach berichten, weil es mir doch sehr nahe geht.
Ich habe mich sehr viel mit dem Thema Religion beschäftigt und war immer der Meinung, dass meine eigene Einstellung absolut gerechtfertigt ist und richtig, dass die Religion als Erklärungsversuch für die Dinge, die wir noch nicht verstehen, nicht richtig ist. Jedoch hat sich meine Meinung über meinen Aufenthalt hier in Amerika geändert. Ich habe erlebt, wie meine katholische Schule die Gedanken und Einstellungen der Schüler beeinflusst. Auch meine Gedanken haben sie erreicht. Eigentlich ist das eine Schande, ich wollte mich ihrem Einfluss, ihrer Gedankenwäsche unterziehen, aber die Katholiken haben es geschafft, mich zum darüber Nachdenken anzuregen. Ich denke, dass jemand, der von Anfang an „einen Funken“ Glauben in sich hatte, für diesen speziellen Glauben gewonnen werden kann.
Christliche Religionen, katholisch, protestantisch und die Zweigglaubensarten haben die Angewohnheit, nicht darüber nachzudenken, was sie predigen, weil sie behaupten, dass alles, woran sie glauben, die Bibel ist, bestimmte Dinge in der Bibel stehen und daher nicht zu beweisen sind. Das ist, so sagen sie, wie Mathe: 1+1=2, da gibt es nichts zu beweisen. Was ist aber mit dem Satz des Pythagoras, den man sehr wohl beweisen kann? Vielleicht braucht man in Religion keine „höhere Mathematik“, wenn doch ihre Lebensgrundlage fest beweisen ist. Doch ich habe eine interessante Entdeckung gemacht. Ich war der Überzeugung, dass meine Meinung gerechtfertigt ist auf einer rein logischen Basis. Aber mit der Zeit ist dieses Fundament eingestürzt und ich habe mich allmählich gefragt: Moment mal, warum glaube ich das eigentlich? Was ist der Grund, warum ich das und das für richtig bzw. falsch halte? Ich habe mich dabei an meine „alte“ Definition geklammert. Beispiel: Ich war nie religiös. Aber warum? Weil die Wissenschaft es sagt. Damit stimme ich auch immer noch überein. Warum noch? Weil ich ziemlich links bin, und politisch linke nun einmal nicht an Gott glauben. Immer noch lehne ich das Praktizieren einer Religion unter einem „Siegel“ ab: ich verabscheue Katholiken und ihre Praktiken, ich denke, es ist Unsinn, was sie aus dem Glauben gemacht haben. Aber was genau ist mein Grund dafür? Ich kannte die Begründung, aber mein Fundament ist zum Einsturz gebracht. Jemand, der nicht über ein derartiges „Gerüst“ verfügt ist hoffnungslos „verloren“. Ich setzte meine „alten“ Werte voraus, und kann sie mittlerweile nicht einmal mehr begründen. Ich bin Atheist, ja, und ich lehne Katholiken ab. Aber was unterscheidet mich von ihnen? Bei den Katholiken ist es doch auch so: ich bin christlich und lehne Abtreibung ab. Zum Beispiel.
Wenn jemand nachdenkt und auf das gleiche Ergebnis kommt, wie eine schon existierende Glaubensrichtung schließt er sich dieser an. So habe ich es auch gemacht: meine „Bibel“ war die „politisch linke Seite mit ihren Vorstellungen“. Wenn es heißt, sich einer Richtung anzuschließen, bedeutet es dann, nicht mehr nachzudenken? Ich denke fast, genau das heißt es. Ich habe es bei mir selbst beobachtet und bei der Religion. Ich bin kein bisschen besser als sie, und sozusagen ist meine Meinung nicht gerechtfertig. Ihre Meinung zwar genauso wenig, aber die Katholiken haben es geschafft, den logischen Verstand auszuschalten. Es wird mich eine lange Zeit kosten, nachzudenken, und wieder auf meine „alten Definitionen von richtig und falsch“ zurück zu kommen. Wenn ich überhaupt jemals wieder dieselbe Meinung haben werde. Es ist schlimm, dass mich dieser Religionsquatsch so weit beeinflusst und vor allem verändert hat, ganz besonders weil ich das nie für möglich gehalten hätte und immer noch nicht tue. Wenn ihr das hier lest werdet ihr bestimmt ganz schön erstaunt sein.
Eine andere Sache ist das mit der Religion im Staat. Alle Amerikaner sagen zwar, dass der Staat und die Religion absolut getrennt ist, aber Religion ist und bleibt präsent. Ich hatte heute eine Diskussion mit Greta, die mir anschließend für die Diskussion gedankt hat, sie würde jetzt ganz anders denken. Das hatte mich doch sehr erstaunt, dass sie sich so explizit bei mir bedankt hat. Das einzige, was ich aber zum Bedenken gegeben habe, ist folgendes.
„The first Amendmend“ in der Amerikanischen Verfassung ist, dass Religionsfreiheit besteht. Das bedeutet aber in meinen Augen nicht, dass der Staat und die Kirche getrennt sind. Die meisten Leute kamen nach Amerika, um ihren Glauben frei ausleben zu können. Und heute ist die Mehrheit der Amerikaner christlich. Was ich jetzt zu denken gegeben habe, war folgendes. Wenn doch die Mehrheit der Leute christlich ist, und diese Mehrheit einen Kandidaten wählt, um ihre Interessen zu vertreten: wie ist es dann möglich, eine Politik zu machen, die nicht christlich ist? Gerade die rechts-gerichteten Parteien, die Republikaner und die Liberalisten, fordern ganz klar dass das Land nicht von Minderheiten dominiert wird. Wie kann man eine „atheistische“ Partei machen und damit die Mehrheit vertreten, wenn die Mehrheit doch christlich ist?
Genau da ist mein Problem. Natürlich muss Politik die Mehrheit vertreten, deswegen leben wir in einer Demokratie (und Amerika in… etwas ähnlichem). Aber wenn doch eine Seperation von Staat und Religion gefordert wird, wie ist das dann möglich? Da ist ein Problem. Wessen Schuld ist das? Nicht die Regierung. Nicht die der Minderheit. Auch nicht die der Mehrheit. Die Kirche ist auch nicht Schuld, der kommt es höchstens zu gute. Das ist ein Problem, das man nicht lösen kann.
Nur gut, dass die Judikative nicht von den Leuten beeinflusst werden kann. Da gibt es dann aber auch wieder ein Problem: der Präsident wählt nämlich die Richter für den Supreme Court. Und wenn der Präsident nun selbst höchst christlich ist, von der Mehrheit gewählt, was im Falle von Bush ja zutrifft, dann ist es nur schwer, Gesetze zu schaffen, die nicht in irgendeiner Weise religiös geprägt sind.
Beispielsweise ist die Toleranz Homosexueller unterschiedlich von Staat zu Staat. Wo es in den Südstaaten gleichgesetzt wird mit Inzucht oder Sodomie (ganz im ernst), wird es in anderen Staaten toleriert. Das liegt sicherlich nicht daran, dass es irgendwie in Massachusetts „richtiger“ wäre als in Texas, das liegt einzig und allein an der religiösen Meinung der Richter. So ungern ich es sage, aber ein Richter in Texas wird kaum „dümmer“ sein als einer in den liberaleren Staaten.
Es ist so schwer zu erklären, aber vielleicht kriegt ihr ja die Idee. Ich weiß nicht, wie Clinton war und ich weiß nicht, wie Obama sein wird. Ich habe Bush’ Auf- und Abstieg erlebt, weiß, wie sich das Bild Amerikas verändert hat. Ich hoffe so sehr, dass es in Obama einen Wandel gibt, vielleicht endlich die langersehnte Aufklärung. Ich wünsche mir keine „europäische“ Welt, aber eins habe ich doch gelernt: Europa hat Kultur, ist so viel älter, aber die Tradition macht uns progressiv. Ist das tatsächlich möglich? Ein weiteres Paradoxon. Ich bin mir sicher, dass der Amerikaner Europa genauso wenig versteht.
2 Kommentare:
Deswegen liebe ich die Mathematik so: man braucht nur ein paar Axiome. Annahmen, deren Gegenteil undenkbar ist. Und der Rest der "Welt" ergibt sich durch Definition, Satz, Beweis. Glauben spielt keine Rolle, nur Logik, der reine Geist. Der "Heilige Geist" bleibt außen vor.
Wo bleiben die neuen Fotos? Wir warten....
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